Wir befinden uns in einer Zeitenwende. Das ist spätestens seit der Vorstellung des European Green Deal deutlich, den Ursula von der Leyen anlässlich ihres Amtsantritts als EU-Kommissionspräsidentin am 11. Dezember 2019 präsentierte. Ein Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft, der inzwischen Eingang in nationale Gesetzgebungen gefunden hat. Das Ziel: Europa bis 2050 zu einem klimaneutralen Kontinent zu machen. Der Weg: Förderung und zunehmend Regulierung – mit Folgen für den Gebäudesektor.
Als am 16. März dieses Jahr das Bundesumweltamt die Klimabilanzdaten für 2020 vorstellte, zeigte sich, dass die Klimaschutzziele für 2020 erreicht wurden, der Gebäudesektor allerdings vom Klimaschutzpfad abweicht. Zwar konnten die Emissionen der CO2-Äquivalente (CO2e) um drei Millionen Tonnen auf 120 Millionen Tonnen im Jahr 2020 reduziert werden. Dennoch wird das Ziel für 2020 um zwei Millionen Tonnen verfehlt. Mehr noch, da ein Teil der Reduzierung durch die von der Pandemie besonders betroffenen Bereiche Gewerbe, Handel und Dienstleistungen zu Stande gekommen sind. Die Politik wird reagieren, um das Ziel von 72 Mio. Tonnen CO2e im Jahr 2030 zu erreichen. Maßnahmen dazu werden im Juli 2021 erwartet.
Es steht außer Frage: der Preis für den Klimawandel steigt. Das gilt auch für die Wirtschaft. Neben physischen Risiken, etwa Schäden durch extreme Witterungsereignisse, sind so genannte Transformationsrisiken zu berücksichtigen. Darunter sind Risiken zu verstehen, die etwa durch zukünftige Regulierungen, Veränderungen in der Nachfrage nach Mietflächen oder auch durch Veränderungen von Baustoffpreisen in Folge einer ernst gemeinten Klimaschutzpolitik entstehen. Um diesen Risiken zu begegnen, sind alle Gebäudeeigentümer dazu aufgerufen, Klimaschutzaktivitäten aufzubauen, etwa zur Erfassung und Reduzierung von Treibhausgasemissionen.
Will die Politik also weiter an ihren Klimaschutzzielen festhalten, muss an der Verknüpfung „Primärenergieverbrauch um 50 Prozent senken, Restbedarf durch Erneuerbare decken“ mehr denn je gearbeitet werden. Wie diese Ziele zu erreichen sind, obliegt der Kreativität der Legislative doch zeigen verschiedene Studien, dass die Zeit des „Förderns First“ sich allmählich erschöpft. Trotz üppiger Fördermittel für energetische Sanierungen stagnieren die Förderzahlen und auch der Anfang 2021 eingeführte Preis je emittierter Tonne CO2 auf die Wärmeerzeugung wird ob seiner Ausgestaltung und Höhe voraussichtlich nur eine geringe Lenkungswirkung haben.
Derzeit prüft die Bundesregierung wirksame Instrumente, regulierend einzugreifen, etwa mit einer Ausdehnung der Mindeststandards auf weitere energieverbrauchende Produkte. Im Gespräch sind Zentralheizungen, Feuerungsanlagen und Öfen, Werkzeugmaschinen, Dampfkessel sowie Server. Einen Schritt weiter allerdings gehen bereits europäische Nachbarländer. Frankreich und Großbritannien etwa verpflichten Hausbesitzer zur Erfüllung von Mindestenergiestandards, die Niederlande indes legen ab 2023 energetische Mindeststandards an Bürogebäuden an.
So hat die niederländische Regierung im Jahr 2018 im Energy Agreement die sukzessive Einführung von Mindeststandards vorerst für Bürogebäude angekündigt. Demnach dürfen Bürogebäude ab 2023 nicht schlechter als Energieeffizienzklasse C sein – andernfalls droht Eigentümern ein Vermietungsverbot. Schon vor Inkrafttreten der Mindeststandards haben sich viele Eigentümer an die Reduktion der Verbräuche gemacht, unter anderem getrieben durch die vermehrten Nachfragen des Finanzsektors, die in den Immobilien investiert sind oder als Kreditgeber fungieren. Die steigende Wahrnehmung klimawandelinduzierter Risiken im Finanzmarkt zeigt Wirkung.
„Klimarisiken werden zu Investitionsrisiken“, mahnte Philipp Hildebrand, Vizepräsident von Blackrock, der mit annähernd 7,5 Billionen Dollar Bilanzsumme größten Vermögensverwaltung weltweit, in einem Interview mit der Tagesschau bereits am 21. Januar 2020. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Finanzsektor als Konsequenz der politischen Vorgaben künftig stärker Investitionen unter der Klimaschutzwirkung oder Resilienz gegenüber Klimaschutzrisiken betrachtet. Unter dem Schlagwort „Sustainable Finance“ lassen sich eine Reihe von politischen Rahmenwerken und Regularien zusammenfassen. Diese haben das Ziel, den Finanzmarkt vor den steigenden systematischen Risiken des Klimawandels zu „schützen“ – und im Umkehrschluss durch das Risikobewusstsein mehr Investitionen in nachhaltige Aktivitäten zu leiten. Dazu zählen zum Beispiel Nachhaltigkeitskriterien. Die EU-Kommission hat dafür 2018 mit der EU-Taxonomie ein Klassifizierungssystem in Auftrag gegeben. Sie wird ab Ende 2021 in Kraft treten und die Nachhaltigkeit von Unternehmenstätigkeiten messbar machen.
Neben dem Energieverbrauch rückt zunehmend der CO2-Fußabdruck in das Blickfeld der Politik. Dazu werden Emissionen zählen, die in der Errichtungsphase sowie der Instandhaltung der Gebäude entstehen. Die Verknüpfung mit der seit März 2021 gültigen Offenlegungspflicht für Finanzmarktteilnehmer und Investoren stellt eine rasche Umsetzung mit allen Auswirkungen auf die Realwirtschaft sicher. Auf nationaler Ebene rät der Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung, Finanzinstitute ab einem definierten Schwellenwert zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsrisiken in der Kreditvergabe zu verpflichten und die Gebäudeenergiequalität bei der finanziellen Bewertung von Immobilien zu berücksichtigen. Der Beirat setzt sich aus 38 Experten aus Finanz- und Realwirtschaft, Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen zusammen und berät die Bundesregierung bei der Entwicklung einer Sustainable Finance Strategie.
Neben Vorgaben der Politik und einem wachsenden Risikobewusstsein des Finanzmarktes zeichnet sich derzeit ein drittes Transformationsrisiko für Besitzer von Gewerbeimmobilien ab: die sich im Zuge dessen verändernde Nachfrage seitens institutioneller Mieter. Zunehmend mehr Mieter fordern Nachweise für klimaschutzkonforme Gebäude und Nutzflächen – oftmals getrieben durch die stärkere Gewichtung von Nachhaltigkeitsaspekten in der eigenen Wertschöpfung, sei es aus regulatorischen Gründen, aus Gründen der Markenwahrnehmung oder der Mitarbeitergewinnung. Nachhaltigkeitskriterien entwickeln sich somit zu erfolgskritischen Hygienefaktoren und verschaffen denjenigen, die darauf vorbereitet sind, zunehmend Wettbewerbsvorteile. All dies zusammen führt zu einem steigenden Handlungsdruck bei Investoren und Immobilieneigentümern – und im Zuge dessen zu neuen Handlungsfeldern und Chancen für Gebäudedienstleister.
Der Betrieb von rund 2,7 Millionen gewerblich genutzten Gebäuden in Deutschland verursacht mehr als 15 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes. Dies verdeutlich, wie ressourcenintensiv die Bewirtschaftung von Gewerbeflächen hierzulande ist – und unterstreicht die Bedeutung des FM zur Erreichung der Klimaschutzziele. Doch was können Eigentümer und Investoren tun und welchen Beitrag kann FM leisten?
Alles beginnt mit der Datenerfassung. Schon im Rahmen der seit März 2021 gesetzlich geforderten Offenlegungsverordnung für Finanzdienstleister werden technische Gebäudedienstleister systemrelevant beim Erfassen und Aufbereiten geforderter Gebäudedaten. Das gilt übrigens auch für die Gebäudedienstleister selbst, die im Rahmen der Berücksichtigung der vor- und nachgelagerten Geschäftsaktivitäten eines jeden Unternehmens selbst ihren Teil zur CO2-Bilanz der Auftraggeber beitragen (siehe dazu auch GEFMA Richtlinie 162-1). Einen formalen Beitrag leisten so genannte Green-Lease-Vereinbarungen zur möglichst nachhaltigen Nutzung und Bewirtschaftung von Nutzflächen, etwa bei Abfallvermeidung, Regelung für Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen nach ökologischen Gesichtspunkten sowie zur Ressourcen- und Energieeffizienz.
Welche Effizienzpotenziale in der Betriebsoptimierung liegen, zeigt beispielhaft ein Blick in das Operational-Center, das Caverion Deutschland in München betreibt. Hier sind Energieingenieure in der Lage, Verbräuche aus der Ferne zu steuern und zu optimieren. Auf Basis der gesammelten Gebäudedaten können Muster identifiziert werden, die sich an Zustand, Nutzungszeit sowie -bedarf orientieren und helfen, Energieverbrauch und CO2-Emission zu reduzieren – um bis zu 30 Prozent. Mehr noch, können Wartungseinsätze vor Ort deutlich reduziert werden, was wiederum die Emissionen in nachgelagerten Unternehmensaktivitäten der Auftraggeber reduziert.
Vorgaben aus Politik und dem Finanzsektor werden die Aufmerksamkeit der Gebäudeeigentümer künftig allerdings nicht nur auf Ressourcen- und Energieeffizienz lenken. Schon heute zeigt sich, dass nachhaltig betriebene Gebäude wirtschaftlicher sind und durchschnittlich einen höheren Wert erzielen. Dies ergab etwa eine Untersuchung der Universität Maastricht zusammen mit dem Finanzinstitut ING Groep. Gebäude, die ausgewählten Nachhaltigkeitskriterien entsprachen, erzielten demnach 17 Prozent höhere Bruttomieteinnahmen, eine um neun Prozent höhere Belegungsquote und auch der Transaktionspreis lag im Durchschnitt elf Prozent über dem der Gebäude, die diese Kriterien nicht erfüllten. Gefragt sind also strategische Ansätze, „Klimasünder“ im Gebäudeportfolio zu identifizieren und entsprechend zu modernisieren.
In Zeiten, in denen der Ruf der Mieter nach messbarem Klimaschutz lauter wird, der Finanzmarkt noch zaghaft aber bereits bestimmt Kapital mit Nachhaltigkeitskriterien verknüpft und Brüssel wie auch Berlin verfehlte CO2-Ziele mit Strafen oder verschärfter Regulierung quittieren, werden Investoren und Eigentümer von Gewerbeimmobilien ihre Aktivitäten neu ausrichten. Das gilt im Zuge dessen auch für Gebäudedienstleister. Auftraggeber werden künftig stärker auf vor- und nachgelagerte Unternehmensaktivität blicken. Das heißt die gesamte Lieferkette bzw. Dienstleistungen betrachten und damit auch die CO2-Bilanz der Gebäudeserviceunternehmen bzw. der erbrachten Leistungen.
Doch neben einem erweiterten Pflichtenheft überwiegen die Chancen, die sich für Gebäudedienstleister ergeben. Der Werterhalt einer Immobilie ist schließlich die allumfassende Bedeutungsklammer des Facility Managements, die mit dem Klimaschutz eine zusätzliche Dimension erhält. Energiedienstleistungen und -beratung, Bewirtschaftungskonzepte zur Müllvermeidung oder Elektromobilität sind nur einige Beispiele, die ihren Weg in Ausschreibungsverfahren bzw. Leistungsverzeichnisse finden werden. Maßnahmen zur Reduzierung der CO2-Bilanz eines Gebäudes werden folgen und an Bedeutung gewinnen. Es gilt, das Verständnis für die skizzierten Einflussfaktoren auf künftige Kundenanforderungen zu schärfen. Es gilt die vorhandenen digitalen Ansätze konsequent weiterzuentwickeln. Und es gilt, die eigene Rolle kritisch zu hinterfragen und das Leistungsportfolio entsprechend anzupassen. Dann eröffnet sich sicherlich auch eine weitere Chance für die FM-Branche, nämlich motivierten und qualifizierten Nachwuchskräften ein noch attraktiveres Arbeitsumfeld mit zusätzlichen Perspektiven zu bieten.
Der Artikel wurde in Zusammenarbeit erstellt mit Susann Bollmann, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiterin Projekte bei Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz, DENEFF.