Perspektiven im Superwahljahr
Holger Winkelsträter,
22.06.2021
Zukunft

Perspektiven im Superwahljahr

2021 verspricht ein politisch-gesellschaftlich hoch interessantes Jahr zu werden. Selten standen die Zeichen so auf Wechsel, selten war der Wahlausgang derart offen, selten gab es so viele denkbare Regierungskonstellationen. Doch was bedeutet das für die Gebäudebetreiber? Wir wagen eine erste Analyse.

Dass das oberste deutsche Gericht …

… das Klimaschutzgesetz von 2019 in Teilen nicht mit den Grundrechten vereinbar sieht, ist ein großer Sieg für Fridays for Future – und ein unüberhörbarer Weckruf: Wir sind auf dem richtigen Weg, aber es reicht nicht! Die noch amtierende Koalition hat bereits reagiert: Deutschland will seine CO2-Emissionen bis 2030 stärker reduzieren. Klimaneutralität soll schon 2045 erreicht werden.¹ Dass es nicht reicht, zeigt sich leider auch in der Gebäudebranche. Denn sie ist der einzige Sektor, in dem die Klimaschutzzwischenziele 2020 erneut verfehlt wurden. Hier besteht also dringender Handlungsbedarf, weshalb die Parteien zum Erreichen der Ziele hier definitiv ansetzen werden, wenn auch individuell nach parteipolitischer Couleur.

Dass sich die Grünen …

… am eindeutigsten in Richtung grundlegendem Strukturwandel positionieren, war zu erwarten. Eine CO2-Steuer von 25 Euro pro Tonne bezeichnete Anton Hofreiter schon Ende 2019 allenfalls als „Schritt in die richtige Richtung.“ Dies könne aber nur der Anfang sein.² Anderseits will man aber auch ordentlich Geld in die Hand nehmen – und zwar mehr als in der Kasse ist. Annalena Baerbocks ablehnende Haltung zur schwarzen Null ist bekannt. Die Regelung habe Deutschland in Probleme gebracht. „Wir müssen die Schuldenbremse im Grundgesetz durch eine Investitionspflicht ergänzen“, fordert sie.³ Da mag es kaum verwundern, dass selbst die sonst als eher wenig grün-affin bekannten Entscheidungsträger der Industrie zu 26,5 Prozent pro Baerbock stimmen.⁴ Eine grüngeführte Regierung würde für Gebäudebetreiber bedeuten: strengere Auflagen, aber auch großzügigere Förderungen.

Dass ein Kanzler Scholz …

auch in Sachen Klimaschutz den ganz großen Wumms wagen würde, bleibt zweifelhaft. Nach dem Corona-Ausnahmejahr 2020 fährt der Bundesfinanzminister die Ausgaben bereits wieder deutlich zurück.⁵ Scholz galt lange Zeit als Bewahrer der schwarzen Null und dürfte allzu freigiebigen schuldenfinanzierten Subventionen skeptisch gegenüberstehen. Gleichwohl will die SPD den Anteil der erneuerbaren Energien steigern, den Energie-Mix weiter aus- und bestehende Abhängigkeiten von fossilen Energielieferungen weiter abbauen. Im Wahlprogramm stehen die Zeichen auf Dezentralisierung: Energieerzeugung würde zukünftig auch Aufgabe eines Gebäudes werden, ein wichtiger Aspekt für die Planung. Kandidat Scholz setzt eher auf eine CO2-Bepreisung im Zertifikate-Handel. Ausgleich will er „über eine Klimaprämie für die Bürger regeln, die Teil einer Gesamtlösung werden soll.“⁶ Davon dürften Gebäudebetreiber weniger profitieren.

Dass man bei den Freien Demokraten …

… die Klimawende marktwirtschaftlich und wettbewerbsorientiert angehen will, mag ebenfalls kaum überraschen. Christian Lindner schlägt einen „CO2-Deckel“ vor, „also ein wirkliches Limit, bei gleichzeitiger technologischer Offenheit und echtem unternehmerischen Wettbewerb um die effektivsten Vermeidungswege“.⁷ Heißt im Klartext: Wer mehr ausstößt, als seine Branchenquote zulässt, muss Zertifikate kaufen, deren Preis der Markt bestimmt. Je tiefer und fester der Deckel sitzt, desto heftiger dürften die CO2-Preise darunter hochkochen. Denn Lindner sieht den Zertifikatpreis nicht zuletzt als Innovationstreiber: „German engineered Klimaschutz“⁸ ist in seiner Vision ein „weltweiter Exportschlager.“ Auf dem Weg dorthin will er allerdings erst einmal Elektrizität billiger machen, was sicher verbrauchsintensive Branchen freuen dürfte, aber auch zum Bremsklotz für Investitionen in sparsamere Gebäudetechnik werden könnte.

Dass man Armin Laschet …

… nach seinem Pyrrhussieg im Kandidatenduell keineswegs abschreiben sollte, zeigt der dynamische CDU-Trend in der Sonntagsfrage.⁹  „Die derzeitige Stimmung schreckt mich nicht“, bekräftigt zudem Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.¹⁰ Laschet gilt als der personifizierte Kompromiss, was dem erfahrenen Praktiker sicher bei einer Regierungsbildung ebenso zugutekommen dürfte wie die stabile Wählerbasis der Christdemokraten. Bezeichnender Weise lag beim Entstehen dieses Blogbeitrags noch kein fertiges CDU-Wahlprogramm vor. Dass es dort allerdings eher gemäßigt zugehen dürfte, lässt auch Laschets These erahnen, Zukunft ließe sich „nicht mit ideologischen linken Experimenten gestalten.“¹¹ Das wird auch für die schwarze Null gelten, zu der Laschet bis spätestens 2024 zurückkehren will.¹² Eine CO2-Steuer lehnt Laschet ab.¹³

Dass Vorhersagen schwierig sind …

… besonders, wenn sie die Zukunft betreffen, stand hier schon des Öfteren. Als sicher darf zumindest gelten, dass keine Partei allein regieren wird. Entsprechend unsicher wie auch unseriös wäre damit eine genaue Prognose, in welche Richtung ein Koalitionsvertrag und Reise in Sachen Klimaschutz und Gebäudeeffizienz gehen, oder wie sich die Gesetzeslage für die Gebäude nun genau entwickeln wird.

An Ideen herrscht dabei kein Mangel. Bei der CO2-Bepreisung scheint von einer harten Deckelung über verschiedene Modelle des Zertifikathandels bis hin zur direkten Besteuerung alles möglich. Das Spektrum der Finanzierungsoptionen reicht vom streng marktorientierten Ansatz über gegenfinanzierte Subventionen bis zur großzügigen Nettokreditaufnahme.

Doch was eint nun die für eine Regierungsbeteiligung relevanten Parteien? Trotz aller eifrig vertretenen inhaltlichen Differenzen zeigen sie sich in wichtigen Punkten auf bemerkenswert ähnlichem Kurs. Dies gilt zum Beispiel für die früher oder später geplante Abschaffung der ungeliebten EEG-Umlage. Der wohl nicht nur für Gebäudebetreiber wichtigste parteiübergreifende Konsens ist das klare Bekenntnis zum Klimaschutz, zum Erreichen der immer enger gefassten Klimaziele. Ein Zurückdrehen bestehender Klimaschutzgesetze, eine Renaissance fossiler Energieträger, wie sie die USA unter der Trump-Regierung erlebte, ist definitiv nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Öl und Gas werden teurer, unabhängig vom Wahlausgang. Der Strompreis dürfte dagegen eher stabil bleiben, was beispielsweise den Einsatz von Wärmepumpen forcieren wird.

Klar bestätigt hat sich damit ein Trend, den wir hier schon öfter vorhergesagt haben: Je deutlicher die negativen Auswirkungen des Klimawandels hervortreten, desto mehr steigt der Druck auf die Politik, die notwendigen Transformationen nun anzugehen. Wer diesen Blog bisher aufmerksam gelesen und bereits in Energieeffizienz investiert hat, der wird seine Entscheidung also auch nach der Wahl eher bestätigt als gefährdet sehen.

Und wer noch in die Zukunft seines Gebäudes investieren will, braucht damit sicher nicht bis nach der Wahl zu warten.

Über den Autor

Holger Winkelsträter
Holger Winkelsträter Leiter Marketing & Kommunikation

Text: Eva-Maria Beck, Illustration: Thomas Hardtmann
Quellen: ¹Handelblatt, ²Bündnis 90 Die Grünen, ³merkur.de, ⁴Wirtschaftswoche, ⁵Deutschlandfunk, ⁶Spiegel Online, ⁷Stimme.de, ⁸FDP, ⁹Statista, ¹⁰heute.de, Augsburger Allgemeine, ¹¹FAZ, ¹²Wirtschaftswoche, ¹³WAZ