Heizperiode 2023: Der nächste Winter kommt bestimmt
Andreas Blassy,
05.10.2023
Energie

Heizperiode 2023: Der nächste Winter kommt bestimmt

– und mit ihm auch die Fragen: Reichen die Gasvorräte für die kalte Jahreszeit? Wo stehen wir in Sachen Energiesicherheit und Klimaschutz? Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Ich erinnere mich noch sehr gut an den 24. Februar 2022: Mitten im Winter traf uns eine „Zeitenwende“: Ein Krieg, mitten in Europa, gefolgt von Wirtschaftssanktionen und Energieboykott.

Ein Grund zum Lob …

… bestand in dieser Situation durchaus: In einer enormen organisatorischen Anstrengung gelang es, die Lieferketten zu diversifizieren und die Gasspeicher zu füllen. Das hat uns viel Geld gekostet und hat Auswirkungen bis heute, aber – hier kommt die gute Nachricht: Das neue System funktioniert. Die Gasflüsse nach Deutschland sind stabil und ausgeglichen, auch im zweiten Jahr – ohne russisches Erdgas. Gleichzeitig wurde durch Bevölkerung, Industrie und öffentliche Hand der Verbrauch signifikant gesenkt. Um die Gasversorgung für den kommenden Winter zu sichern, muss bis zum 1. September ein Speicherfüllstand von 75 Prozent erreicht werden. Dies war bereits im Juni der Fall. Der Lagebericht der Bundesnetzagentur vom August zeichnet daher ein sehr positives Bild.

Ein Grund, sich zurückzulehnen …

… besteht indes nicht: Denn der Klimawandel – und das ist die weniger gute Nachricht – bleibt ein weiter ungelöstes Menschheitsproblem. Der „Technical dialogue of the first global stocktake“, die UN-Bestandsaufnahme zum Klimawandel, zeichnet ein ausgesprochen düsteres Bild: Bis zum Jahr 2030 klafft bei den Emissions-Einsparzielen eine Lücke von der Größe des Grand Canyon: 20,3 bis 23,9 Gigatonnen an CO2-Äquivalenten, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

Ein Grund zum Handeln …

… besteht also mehr denn je: Klimaneutralität bleibt zentrales Ziel der heutigen Bundesregierung. Dass dafür nun entschlossenes Vorgehen erforderlich ist, beispielsweise in Form des jetzt verabschiedeten Gebäudeenergiegesetzes, ist nicht zuletzt der vorangegangenen jahrzehntelangen Klima-Prokrastination geschuldet.

So beklagt auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) einen immer größer werdenden Nachholbedarf bei der energetischen Gebäudesanierung. Im Jahr 2022 wurde mit rund 67 Milliarden Euro zwar rund 40 Prozent mehr in energetische Sanierungen investiert als 2011. Preisbereinigt waren die Investitionen aber in jedem der vergangenen elf Jahre geringer als 2011 – zuletzt um 13 Prozent. „Das Niveau der energetischen Sanierungen reicht nicht aus, um das Potenzial der Energieeinsparungen im Gebäudesektor auszuschöpfen“, beklagt Ökonom Martin Gornig, stellvertretender Leiter der Abteilung Unternehmen und Märkte im DIW Berlin. 1 Fakt ist: Für die Summe der Gebäude in Deutschland wäre eine Sanierungsrate von drei Prozent erforderlich. Derzeit dümpeln wir bei annähernd einem Prozent.

Ein Grund zum Planen …

… besteht auch für Gornig: Er fordert einen koordinierten Ausbau der Produktions- und Installationskapazitäten. Im Sinne einer konzertierten Aktion sei eine enge Abstimmung zwischen Produzenten, Baufirmen sowie öffentlichen und privaten Investoren sinnvoll. Die Einrichtung einer entsprechenden Koordinierungsstelle könne helfen, Fördermittel effizient zu verteilen und so auch die Kapazitäten in der Sanierungsbranche zu erhöhen. 2

Apropos Koordination: Ein weiter richtiger Beschluss der Ampelkoalition war, die Pflicht zur ökologischen Sanierung nicht mehr funktionierender Heizungen an die kommunale Wärmeplanung zu koppeln. Denn sie bildet die Grundlage für eine klimaneutrale Energiestrategie und unterstützt die lokalen Akteure bei individuellen Investitionsentscheidungen. Ziel der Wärmeplanung ist es, den vor Ort besten und kosteneffizientesten Weg zu einer klimafreundlichen und fortschrittlichen Wärmeversorgung zu ermitteln. Der Bund unterstützt finanziell und beratend bei der Erstellung.

Ein Grund zur energetischen Neuorientierung …

… findet sich öfter als man denkt: Nicht selten stellt sich bei der Planung heraus, dass die Lösung des Wärmeproblems weitaus näher liegt als gedacht – nämlich direkt unter unseren Füßen. Wirtschaftlich nutzbare Geothermie-Vorkommen gibt es in Deutschland mehr als mancher denkt, und CO2-neutrale Heizenergie erlebt nun einen Aufschwung.

Der Energieversorger Energie-Wende-Garching (EWG) zum Beispiel liefert nachhaltige Erdwärme für die Stadt Garching. Dabei gab es aber durchaus noch Optimierungsbedarf: 2021 wurde Caverion beauftragt, eine Analyse bei einer der angeschlossenen gewerblichen Liegenschaften durchzuführen. Weitere Liegenschaften der Stadt Garching werden bis heute für die Optimierung beauftragt. Das Warmwasser erreichte im gesamten Komplex eine Temperatur von gerade einmal 35 Grad Celsius. Wir haben Effizienzpotenziale an der Hydraulik, der Heizungsanlage bis hin zu den eingesetzten Fancoils und dem Betonkern ermittelt und nach Umsetzung der Optimierungsmaßnahmen Energieeinsparungen realisiert. Als Folge davon wurde die Rücklauftemperatur zum Versorger deutlich gesenkt und der Wirkungsgrad im Fernwärmenetz stieg.

Ein Grund, Bilanz zu ziehen …

… ist der nahende Winter allemal: Eine Gasmangellage wurde abgewendet. In Sachen Energiewende sind wichtige Weichen nun gestellt. Experten sind sich allerdings einig: Das bislang Erreichte und Projektierte reicht bei weitem noch nicht aus, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen. Aber durch neue Gesetze, bewährte Technologien und wiederentdeckte Energiequellen stehen die Chancen heute besser denn je, endlich vor die Lage zu kommen.

Wir sollten sie nutzen.

1 Quelle: DIW

2 Quelle: DIW

Über den Autor

Andreas Blassy
Andreas Blassy Leiter Digital- & Energie Services

Text: Eva-Maria Beck, Illustration: Thomas Hardtmann